Flüchtlinge auf dem Mittelmeer
Viele Crews sorgen sich derzeit um Flüchtlinge zur See und fragen sich, wie sie sich im Ernstfall einer Begegnung mit einem Flüchtlingsboot verhalten sollten.
Der Förderverein Pro Asyl e.V. hat eine lesenswerte Broschüre zu diesem Thema herausgegeben ("Flüchtlinge in Seenot: handeln und helfen").
Darin werden folgende Fragen beantwortet:
Die Broschüre finden Sie hier
Falls Sie weitere Information zu dem Thema suchen, empfehlen wir Ihnen die Website von Pro Asyl: www.proasyl.de
■Spätestens mit Beginn der Urlaubssaison heißt es für
Besitzer und Mieter von Segeljachten und Motorbooten:
Leinen los! Seit Jahren ist die Schifffahrt verstärkt
mit einem Problem konfrontiert: dem Schicksal von
Flüchtlingen, die mit seeuntüchtigen Booten in Küstengewässern
oder auf hoher See in Seenot sind. Innerhalb und außerhalb
der klassischen Bootsreviere müssen Skipper heute damit
rechnen, Flüchtlingen in Seenot zu begegnen: in der Ägäis, vor
Sizilien und Malta, in großen Teilen des westlichen Mittelmeeres,
vor den Kanaren oder im Seegebiet vor der westafrikanischen
Küste.
Wer aus den Häfen Nordafrikas oder des Nahen Ostens aufbricht
und in seeuntaugliche Boote steigt, flieht in der Regel
vor Armut, Verfolgung oder Bürgerkrieg. Für diese Flüchtlinge
ist das Meer keine schillernde Ferienkulisse, sondern ein Hindernis
auf dem Weg nach Europa, das tödliche Gefahren birgt.
Die meisten der benutzten Boote sind für die hohe See ungeeignet.
Sie sind mit zu schwachen Außenbordern ausgerüstet
oder kaum manövrierfähig. Oft sind sie bis an die Wasserlinie
überladen oder alt und morsch. Tausende Menschen sind in
den letzten Jahren gestorben, als solche Boote gekentert sind
oder tage- und wochenlang umhertrieben, weil der Motor
ausgefallen war. Die Überlebenden haben vom Schicksal ihrer
Reisegefährten berichtet: verhungert, verdurstet, ertrunken.
Nicht ausgeschlossen, dass eines dieser Boote Ihren Weg kreuzt.
Was tun? Sie sind zur Seenotrettung verpflichtet. Bitte bedenken
Sie, dass sie als Segler oder Seglerin ebenso wie am Steuer
einer Motoryacht in einer langen, stolzen Tradition der Seefahrt
stehen. Diese bekennt sich seit Jahrhunderten zu einem
wichtigen Gebot: Menschen in Seenot verdienen Beistand. Wir
bitten Sie um eines: Setzen Sie diese Tradition fort. In jedem
Einzelfall. Schauen Sie nicht weg – von Ihrer Entscheidung können
Menschenleben abhängen.
Diese Broschüre soll Ihnen helfen, Ihrer Verantwortung gerecht
zu werden. Sie gibt Ihnen
■ einen Überblick über die Regelungen des Internationalen
Rechts, die Sie kennen sollten,
■ konkrete Verhaltenstipps zur Seenotrettung und
■ eine Auswahl mit weiteren Quellen und Notrufnummern.
Wo ist die Seenotrettung geregelt?
Die Pflicht zur Seenotrettung ist in mehreren völkerrechtlichen
Verträgen des Internationalen Seerechts niedergelegt. Sie sind
von den Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland gehört,
umgesetzt worden.1 Das bedeutet: Seenotrettung ist mehr als
ein Gebot der Nächstenliebe. Sie sind rechtlich verpflichtet, zu
helfen. Folgende Vorschriften sollten Sie daher kennen:
■ Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom
10. Dezember 1982 (SRÜ):2 »Jeder Staat verpflichtet den
Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, soweit der
Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung
oder der Fahrgäste dazu imstande ist,
a) jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen
wird, Hilfe zu leisten;
b) so schnell wie möglich Personen in Seenot zu Hilfe zu
eilen, wenn er von ihrem Hilfsbedürfnis Kenntnis erhält,
soweit diese Handlung vernünftigerweise von ihm erwartet
werden kann (…).«
1 Für Deutschland vgl. auch die Verordnung über die Sicherung der
Seefahrt (SeeFSichV), § 2.
2 Art. 98 Abs. 1 SRÜ.
■ Das Internationale Übereinkommen von 1974 zum Schutz
des menschlichen Lebens auf See (SOLAS): »Der Kapitän
eines auf See befindlichen und zur Hilfeleistung fähigen
Schiffes, der von irgendeiner Seite eine Meldung erhält, dass
Personen sich in Seenot befinden, ist verpflichtet, ihnen mit
größter Geschwindigkeit zu Hilfe zu eilen und ihnen oder
dem Such- und Rettungsdienst nach Möglichkeit hiervon
Kenntnis zu geben.«3
■ Das Internationale Übereinkommen von 1989 über Bergung
(Bergungsabkommen): »Jeder Kapitän ist verpflichtet, jeder
auf See in Lebensgefahr befindlichen Person Hilfe zu leisten,
soweit er dazu ohne ernsthafte Gefährdung seines Schiffes
und der Personen an Bord in der Lage ist.«4
■ Das Internationale Übereinkommen von 1979 über den
Such- und Rettungsdienst auf See (SAR): »Die Vertragsstaaten
sorgen dafür, dass jeder in Seenot befindlichen Person
Hilfe geleistet wird. Sie tun das ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit
oder die Rechtsstellung einer solchen Person
oder die Umstände, unter denen sie aufgefunden wird.«5
■ Im Jahre 2004 wurde ein wichtiger Schritt für die bessere
Umsetzung der Rettungspflichten gemacht. Der Schifffahrtsausschuss
(MSC) der Internationalen Seeschifffahrtskommission
(IMO) hat 2004 Richtlinien für den Umgang mit Personen
in Seenot erlassen, die seit 2006 in Kraft sind.6 Sie
legen die Details der Rettungspflichten fest.
Wann muss ich retten?
Sie müssen nicht nur bei Lebensgefahr eingreifen,7 sondern
immer dann, wenn sich jemand in Seenot befindet.8 Seenot ist
»eine Lage, in der angenommen werden muss, dass eine Person,
ein Schiff, oder ein anderes Fahrzeug durch eine ernste und
unmittelbare Gefahr bedroht ist und sofortiger Hilfe bedarf.«9
Sie müssen also nicht erst einschreiten, wenn Insassen über
Bord gegangen sind. Sie werden vielmehr von Seenot ausgehen
können, wenn eintritt, was oben beispielhaft aufgeführt
wurde: Manövrierunfähigkeit oder -probleme des Bootes, Schäden
am Boot, Überlastung durch zu viele Insassen oder mangelhafte
Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser und notwendigen
Medikamenten.
Muss ich retten, obwohl es mich
und meine Crew in Gefahr bringt?
Nein. Im SRÜ und im Bergungsabkommen wird betont: Sie
müssen nur zur Rettung schreiten, wenn sie »ohne ernste Gefährdung
des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu
imstande« sind.10 So können insbesondere Sportboote zu klein
sein, um eine große Menge an Personen aufzunehmen. Dennoch
können und müssen Sie in diesem Fall handeln: Wenn Sie
sich selbst außerstande sehen, zu helfen, müssen Sie dies nicht
nur mit Begründung in Ihrem Logbuch festhalten, sondern vor
allem dem zuständigen Seenotrettungsdienst Bericht erstatten,
11 damit dieser zur Rettung schreiten kann. Auch können
Sie versuchen, über UKW Kontakt zu anderen großen Frachtern
oder Fischern in der Nähe herzustellen – möglicherweise können
diese Hilfe leisten, bevor der Seenotrettungsdienst eintrifft.
3 SOLAS, Anhang, Kapitel V, Regelung 33, Abs. 1, S. 1.
4 Art. 10 Abs. 1.
5 Ziff. 2.1.10.
6 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78): Guidelines on
the Treatment of Persons in Distress at Sea.
7 Art. 98 Abs. 1 a) SRÜ; Art. 10 Abs. 1 Bergungsabkommen.
8 Art. 98 Abs. 1 a) SRÜ; SOLAS, Kapitel V, Regelung 33, Abs. 1, S. 1.
9 SAR, Anlage, Kapitel 1.3.13.
10 Art. 98 Abs. 1 SRÜ; ganz ähnlich Art. 10 Abs. 1 Bergungsübereinkommen.
11 SOLAS, Anlage, Kapitel 5, Regelung 33, Abs. 1 S. 3.
Andernfalls riskieren Sie nicht nur das Leben der Betroffenen.
Sie können sich auch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar
machen, sofern Sie sich im Küstengewässer und damit im
Geltungsbereich innerstaatlichen Strafrechts befinden.
Wen muss ich retten?
Jeden Menschen, der in Seenot ist. SAR und SOLAS betonen:
Die Rettungspflicht gilt unterschiedslos gegenüber jeder Person
- unabhängig von ihrer Nationalität, ihrer Rechtsstellung
und den Umständen, in denen sie aufgefunden wird.12
Es ist also unbedeutend, aus welchem Land die Person stammt.
Ebenso irrelevant ist, ob sie sich auf eigenes Risiko in Gefahr
begeben hat und aus welchen Gründen sie den Weg übers Meer
gesucht hat.
Vor allem aber ist eines irrelevant: ob die Person in Seenot ein
Visum hat, das ihr die Einreise in einen europäischen Staat erlaubt.
Das wird meist nicht der Fall sein - die Einwanderung über
das Meer ist ein typischer Fall der illegalen Einreise. Zwar ist
illegale Einwanderung verboten - das ändert aber nichts an der
rechtlichen Pflicht, Menschen, die hierbei in Seenot geraten, zu
Hilfe zu eilen.
Welche Bedeutung hat das Internationale
Flüchtlingsrecht bei der Seenotrettung?
Viele Menschen fliehen nach Europa, weil sie arm sind. Das ist
verständlich, niemand möchte in Armut leben. Dennoch gibt
es keine rechtliche Pflicht, diese Menschen in Europa aufzunehmen.
Die Europäische Union unternimmt erhebliche Anstrengungen,
um die illegale Einwanderung zu bekämpfen.
Anders verhält es sich mit Asylsuchenden, die schutzbedürftig
im Sinne des Völker- und Europarechts sind. Dazu zählen zwei
Gruppen: Erstens gibt es Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
Hierzu gehört jeder, der aus seinem Heimatstaat
geflohen ist, weil ihm dort wegen seiner Rasse, Religion,
Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung droht und
er dem schutzlos ausgeliefert ist. Zweitens gelten solche Personen
als schutzbedürftig, die zwar nicht in Anknüpfung an
eines der genannten Diskriminierungsmerkmale verfolgt werden,
denen aber trotzdem schwere Menschenrechtsverletzungen
drohen. Dies kann z.B. bei Folter oder durch Bürgerkriege
der Fall sein. Europäische Staaten sind völker- und europarechtlich
verpflichtet, ihnen Schutz zu gewähren.
Die Boote, die sich nach Europa bewegen, sind oft Bestandteil
so genannter »Mixed Migration-Flows«: Gruppen, in denen sich
sowohl Asylsuchende als auch Migranten, die nicht völkerrechtlich
schutzbedürftig sind, finden.
Was folgt daraus, wenn Sie im Rahmen einer Rettung Personen
an Bord nehmen? Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie prüfen,
ob unter den Geretteten tatsächlich Schutzbedürftige sind.
Ein Schiff ist kein geeigneter Ort für die Prüfung eines Asylantrages,
und ein Kapitän ist hierfür nicht ausgebildet. Außerdem
ist die Prüfung von Asylanträgen eine Pflicht, die allein staatliche
Behörden trifft.
Gleichwohl sollten sie ein offenes Ohr haben, falls Gerettete
sich als Asylsuchende offenbaren. Zum einen sollten sie das
Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und den
Seenotrettungsdienst informieren. Zum anderen kann die
Schutzbedürftigkeit sich darauf auswirken, wohin Sie die Person
ausschiffen. Genaueres hierzu finden Sie unter den folgenden
beiden Abschnitten »Was muss ich tun?« und »Was ist ein
sicherer Hafen?« in dieser Broschüre.
12 SAR, Anhang, Kapitel 2. 1.10. ; SOLAS, Anhang, Kapitel V, Regelung 33,
Abs. I S. 2.
Die Rettung – was muss ich tun?
Schreiten Sie zur Rettung.
Nach dem SAR heißt das für Sie:13
■ Bergen Sie die in Not befindlichen Personen,
■ stellen Sie ihre medizinische Erst- oder sonstige Grundversorgung
sicher,
■ bringen Sie sie an einen sicheren Ort. Die Frage, was ein
sicherer Ort ist, kann Sie vor Probleme stellen. Deshalb ist
diesem Aspekt weiter unten in dieser Broschüre ein eigener
Abschnitt gewidmet.
Kontaktieren Sie den zuständigen Seenotrettungsdienst.
Er wird von Ihnen, den IMO-Richtlinien14 folgend, die nachstehenden
Angaben verlangen:
■ Informationen über die Überlebenden einschließlich Name,
Alter, Geschlecht, scheinbarer Gesundheitszustand sowie
eventuelle medizinische Bedürfnisse;
■ Ihre Einschätzung der Sicherheit Ihres Schiffes nach der
Rettung. Das beinhaltet z.B. die Frage nach ausreichender
Ausrüstung zur Lebensrettung, Wasser, Lebensmitteln, Medizin,
Unterbringung der an Bord genommenen Personen.
Hierzu gehört auch die Frage nach der Sicherheit Ihrer Besatzung,
falls die Gefahr besteht, dass an Bord genommene
Personen aggressiv oder gewalttätig werden könnten;
■ Maßnahmen, die Sie bereits vorgenommen haben und vorzunehmen
planen;
■ die aktuelle Auslastung ihres Schiffes mit den zusätzlich an
Bord genommenen Personen;
■ den von Ihnen ins Auge gefassten nächsten sicheren Hafen;
■ die von Ihnen bevorzugten Maßnahmen zur Ausschiffung
der Überlebenden;
■ jede Form von Hilfe, die Sie während oder nach der Rettungsaktion
benötigen könnten;
■ sämtliche besondere Faktoren, die für die Situation von Bedeutung
sind (z.B. aktuelle Wetterlage oder eilbedürftige
Fracht).
Sofern sich Personen an Bord befinden, die sich als Asylsuchende
offenbaren, sollten Sie zusätzlich den Empfehlungen
von UNHCR und IMO15 folgen. Das bedeutet:
■ Machen Sie den Seenotrettungsdienst darauf aufmerksam,
dass sich potentiell Schutzbedürftige an Bord befinden;
■ kontaktieren Sie UNHCR;
■ geben Sie keine Informationen an den Herkunftsstaat oder
den Staat, aus dem der Betroffene geflohen ist, an staatliche
Autoritäten dieses Landes oder an Personen, die diese Informationen
weitergeben könnten;
■ bitten Sie nicht im Herkunftsstaat oder dem Staat, aus dem
der Betroffene geflohen ist, um Ausschiffung. Näheres hierzu
finden Sie im folgenden Abschnitt.
Die praktischen Schritte zur Rettung hängen stets von den
Umständen des Einzelfalls und der Beschaffenheit Ihres
Bootes ab. Einige Dinge sollten sie aber stets beachten:
■ Sofern Sie eine Notmeldung über Funk erhalten, bestätigen
Sie den Empfang und erfragen Sie alle notwendigen Informationen.
■ Gehen Sie auf Hörwache (2182 khz, Telefonie, oder 156,8
MHz FM, Telefonie).
13 SAR, Anlage, Kapitel 1.1.3.2.
14 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.10. f.
15 IMO/UNHCR, Rescue at Sea – A Guide to Principles and Practice as
Applied to Migrants and Refugees.
■ Führen Sie stets die nach SOLAS erforderliche Ausrüstung
einschließlich der Funkausrichtung mit sich.
■ Halten Sie Rettungsmittel bereit (bspw. Rettungswesten,
Rettungsringe, Rettungsleinen sowie sonstige an Bord befindliche
Ausrüstung).
■ Bei Dunkelheit halten Sie gegebenenfalls die erforderliche
Signalausrüstung bereit und installieren Sie Flutlichter.
■ Bereiten sie Hilfeleistung vor, indem Sie medizinische Ausrüstung
bereithalten.
■ Fahren Sie, wenn vorhanden, Leitern und Manntaue aus, mit
denen Personen an Bord gelangen können.
■ Leinenwurfgerät klar, um eine Verbindung zu dem in Not
befindlichen Boot herstellen zu können.
■ Sofern vorhanden: Rettungsboote des Schiffes klar, um Personen
aufzunehmen.
Eine ausführliche Übersicht zu den erforderlichen Rettungsschritten
finden Sie im »Handbuch Suche und Rettung« (s.u.
»Wo erhalte ich weitere Informationen?«)
Was ist ein sicherer Ort?
Das SAR verpflichtet Sie, die Geretteten »an einen sicheren Ort«
zu bringen.16Was aber ist ein sicherer Ort? Nach der IMO ist ein
Ort sicher, an dem die Rettungsaktion als beendet angesehen
werden kann. Hier darf das Leben des Geretteten nicht länger
bedroht sein. Auch müssen die grundlegenden menschlichen
Bedürfnisse befriedigt sein. Dazu zählen vor allem Nahrung,
Unterkunft und medizinische Versorgung.17
Ein solcher Ort kann der örtlich nächste Hafen, der nächste angestrebte
Zielhafen des rettenden Schiffes oder ein Hafen des
Herkunftsstaats des rettenden Schiffes sein. Die Lösung hängt
stets vom Einzelfall ab. Eines aber gilt in jedem Fall: Das retten-de Schiff ist kein sicherer Ort. Es wird oftmals nicht ausreichend
ausgerüstet sein, um die durch die Rettung gewachsene Anzahl
von Personen sicher zu versorgen und zu beherbergen.
Außerdem soll die Besatzung des rettenden Schiffes nicht überfordert
werden.18
Ganz besonders sorgfältig müssen Sie den sicheren Ort prüfen,
wenn Gerettete sich als Asylsuchende zu erkennen geben. Die
IMO betont ausdrücklich: Bei Ihrer Beurteilung des sicheren
Ortes müssen Sie berücksichtigen, ob den Geretteten dort Gefahren
für Leib und Leben drohen, weil sie von Verfolgung bedroht
sind.19
Was bedeutet das? Bedenken Sie Folgendes: Manche der
Geretteten könnten unmittelbar aus einem nordafrikanischen
Küstenstaat geflohen sein. Schiffen Sie sie hier aus, so setzen
Sie sie erneut der Verfolgungsgefahr in ihrem Heimatstaat aus.
Viele nutzen diese Staaten aber auch als Transitstaaten. Sie sind
also aus anderen Staaten Afrikas oder des Nahen Ostens geflohen.
Setzen Sie diese Personen in afrikanischen Küstenstaaten
ab, so kann auch hier eine Gefahr entstehen: In den meisten
afrikanischen Staaten gibt es kein funktionierendes Asylsystem,
das dem unseren vergleichbar ist. Den Betroffenen droht also,
dass sie von hier in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden,
ohne dass ihr Asylantrag geprüft worden wäre. Man spricht
hier von Kettenabschiebung. Das Ergebnis ist dasselbe: Der Betroffene
wird in die Verfolgung abgeschoben. Ein Ort, wo dies
droht, ist kein sicherer Ort. Wer von Seenot in Folter oder Bürgerkrieg
gerät, dem ist nicht geholfen. All dies spricht dafür,
Asylsuchende in einem europäischen Hafen auszuschiffen
16 SAR, Anlage, Kapitel 1.1.3.2.
17 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.12.
18 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.13.
19 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.17.
Müssen mich Staaten ausschiffen lassen?
Ihre Rettungsaktion kann nur beendet werden, wenn Ihnen ein
Staat die Erlaubnis gibt, die Geretteten in einem seiner Häfen
auszuschiffen. In der Vergangenheit kam es vor, dass Küstenstaaten
dies verweigerten. Für die verantwortlichen Kapitäne
war dies eine schwere Belastung. Schließlich haben sie ein berechtigtes
Interesse daran, ihre Fahrt fortzusetzen.
Eine erhebliche Verbesserung wurde durch die letzte Änderung
des SOLAS und des SAR erreicht. Es steht zwar nach wie vor im
Ermessen des jeweiligen Küstenstaates, ob er ein Schiff einlaufen
lässt. Das Ermessen ist aber durch eine Änderung von SAR
und SOLAS massiv eingeschränkt worden.
Die Vertragsstaaten müssen für Koordinierung und Zusammenarbeit
sorgen. So müssen sie gewährleisten, dass »Kapitäne von
Schiffen, die Hilfe leisten, indem sie in Seenot geratene Personen
an Bord nehmen, von ihren Verpflichtungen entbunden
werden und möglichst wenig von der Reise abweichen, sofern
die Befreiung des Kapitäns des betreffenden Schiffes von diesen
Verpflichtungen den Schutz des menschlichen Lebens auf
See nicht zusätzlich gefährdet.« Dabei betonen die Abkommen:
Die Vertragspartei, die für den Such- und Rettungsbereich zuständig
ist, trägt die Hauptverantwortung für diese Koordinierung.
20
Insbesondere müssen die Staaten hierbei die IMO-Richtlinien
berücksichtigen.21 Und die sind unmissverständlich: Ein Schiff
darf keine unangemessene Verzögerung, finanziellen Einbußen
oder ähnliche Schwierigkeiten erleiden, nachdem es Personen
aus Seenot gerettet hat.22 Das bedeutet: Der erste Seenotrettungsdienst,
den Sie kontaktieren, muss – falls er nicht selbst
zuständig ist – den für den jeweiligen Such- und Rettungsbereich
zuständigen Rettungsdienst kontaktieren. Dieser soll die
Verantwortlichkeit unverzüglich übernehmen und die erforderlichen
Maßnahmen einleiten.23 (siehe hierzu auch den
Abschnitt »Was ist ein sicherer Ort?« in dieser Broschüre). Dazu
gehört auch, die Zeit, die die Geretteten an Bord verbringen,
so gering wie möglich zu halten und die Ausschiffung der Geretteten
zu beschleunigen.24 Daher wird meist der Seenotrettungsdienst
die Ausschiffung im Einvernehmen mit den einheimischen
Behörden organisieren. Nach Auskunft deutscher
Reedereien haben sich die neuen Regelungen in der Praxis bewährt:
Die Erfahrungen mit der zügigen Ausschiffung waren in
den vergangenen Jahren weitgehend positiv, haben Reeder
berichtet. Unklar ist, ob dies auch für die Fälle gilt, in denen
Segeljachten oder Fischerboote Menschen in Seenot an Bord
genommen hatten.
Sollten Sie dennoch Probleme mit der Ausschiffung haben, setzen
Sie sich mit Ihrem Flaggenstaat in Verbindung. Möglicherweise
kann er über diplomatische Wege eine Einigung herbeiführen.
Dasselbe gilt für die Kontaktaufnahme mit UNHCR. Auch
sollten Sie im Nachhinein die IMO in Kenntnis setzen, um sie
darüber zu informieren, ob ihre Richtlinien in der Praxis umgesetzt
werden.
Mache ich mich strafbar?
Die Frage mag überraschend sein – wer rettet, kann sich nicht
strafbar machen. Im Gegenteil: Wenn man nicht hilft, obwohl
man verpflichtet wäre, droht eine Anklage wegen unterlassener
Hilfeleistung. Zumindest dann, wenn man sich im Küstengewässer
und damit im Hoheitsgebiet eines Staates befindet,
denn dort gilt innerstaatliches Strafrecht.
So wird auch überwiegend von unproblematischen Ausschiffungen
berichtet. Grund zur Sorge gibt aber, dass ein italienisches
Gericht 2006 das Strafverfahren gegen den Kapitän der
20 SAR, Kapitel 3.1.9.; SOLAS, Kapitel V, Regel 33, Abs. 1.
21 SAR, Kapitel 3.1.9.; SOLAS, Kapitel V, Regel 33, Abs. 1.
22 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.4.
23 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.7.
24 Maritime Safety Committee, Resolution MSC.167(78), 6.8. f.
Cap Anamur sowie gegen den ehemaligen Vorsitzenden des
gleichnamigen Komitees eröffnete. Nachdem sie Menschen
aus Seenot gerettet hatten, hatten sie sie nach Italien gebracht.
Die Folge: Anklage wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Vor
demselben Gericht in Sizilien wurde ein weiteres Verfahren gegen
sieben tunesische Fischer betrieben, die ebenfalls Menschenleben
gerettet hatten.
Menschenrechtsorganisationen haben kritisiert, dass auf diese
Art und Weise Schiffsbesatzungen abgeschreckt werden sollen,
das menschenrechtlich eigentlich Selbstverständliche zu
tun: zu retten. Die Beschlagnahme ihrer Boote und ihrer Fangausrüstung
ist für viele Fischer existenzbedrohend.
Dennoch stellt ein solches Vorgehen bislang eher die Ausnahme
dar. Es spricht einiges dafür, dass die deutsche und die italienische
Regierung mit dem Prozess im Fall der Cap Anamur
ein politisches Exempel statuieren wollten. Auch spricht einiges
dafür, dass die breite Aufmerksamkeit der Medien den Fall
zu einem Politikum gemacht hat. Erst nach einem dreijährigen
Prozess wurden die Akteure des Falls Cap Anamur endlich freigesprochen.
Kurz darauf wurden die beiden Kapitäne der sieben
tunesischen Fischer wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt
verurteilt, die restliche Besatzung wurde freigesprochen.
Gegen die Verurteilung der beiden Kapitäne wurde Berufung
eingelegt.
Es ist dringend notwendig, hier auf völker- und europarechtlicher
Ebene eine klarstellende Regelung zu schaffen: Niemand
sollte in die Lage gebracht werden, seine Rettungspflicht aus
Angst vor Strafverfolgung zu verletzen.
Wo erhalte ich weitere Informationen?
■ Konkrete Tipps zur Umsetzung der Rettungspflichten finden
Sie im »Handbuch Suche und Rettung«, herausgegeben vom
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Zusammenarbeit
mit der Deutschen Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger (DGzRS), Hamburg und Rostock 2007. Das
Handbuch ist eine auszugsweise Übersetzung aus dem »International
Aeronautical and Maritime Search and Rescue
Manual« (IAMSAR) Vol. III, herausgegeben von der International
Maritime Organization (IMO).
■ Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS):
Die DGzRS nimmt in Deutschland die Aufgaben des Seenotrettungsdienstes
wahr, www.dgzrs.de.
■ United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR):
Der UNHCR ist das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.
Gemeinsam mit der IMO hat UNHCR die Broschüre »Rescue
at Sea – A Guide to Principles and Practice as Applied to
Migrants and Refugees« herausgebracht, Download unter:
www.unhcr.org/450037d34.html.
■ International Maritime Organization (IMO): Die IMO ist eine
Sonderorganisation, die sich mit der Internationalen Schifffahrt
einschließlich der damit verbundenen Sicherheitsfragen
befasst, www.imo.org.
■ Nach Ländern geordnete Linksammlungen zu den Seenotrettungsdiensten
in aller Welt mit Telefonnummern finden
Sie unter www.skipperguide.de/wiki/Hilfe_im_Seenotfall.
■ Eine Auflistung der weltweiten Einteilung der Seenotrettungszonen
und zuständigen Seenotrettungsdienste
nach dem SAR, Anlage, Kapitel 2.1. finden Sie in »Nautical
Publication«, Volume 5 (auch zitiert als NP 285), S. 315 - 414,
herausgegeben vom United Kingdom Hydrographic Office,
oder im »International Aeronautical and Maritime Search
and Rescue Manual«.
Wichtige Notrufnummern
Office of the United Nations High Commissioner
for Refugees (UNHCR)
Telefonnummer +41 22 739 8111
International Maritime Organization (IMO)
Telefonnummer +44 207 735 7611
Allgemein, Funk
Meldung über beliebigen Kanal mit dem gesprochenen Wort
MAYDAY
oder auch
UKW-Seefunk als fest eingebaute Schiffsfunkstelle über Kanal
16 mit optionalen DSC-Anruf (Kanal 70); siehe auch Notfall-
Tafel
Offshore: Grenzwellensprechfunk über 2182 kHz mit DSC-Anruf
über 2187,5 kHz sowie Kurzwelle auf den Frequenzen 4125,
6215, 8291, 12290 und 16420 kHz
Deutschland
Telefonische Alarmierung
+49 421 53 68 70
Telefonisch, Mobilfunk
124 124
MMSI
00211 1240
Medizinische Beratung Cuxhaven
+49 472 1785
Spanien
Telefonische Alarmierung
Maritime Notfallnummer:
+34 900 202 202
MMSI
Malaga (CCR) 002241023
MRCC Almeria 002241002
MRSC Cartagena 002241003
MRCC Valencia 002241004
Valencia (CCR) 002241024
MRSC Castellon 002241016
MRSC Tarragona 002241006
MRCC Barcelona 002240991
MRCC Palma 002241005
Türkei
Telefonische Alarmierung
Kurzwahl aus allen Netzen 158
Turkish Coast Guard +90 312 158 0000
MRCC Ankara +90 312 425 3337
MRSC Istanbul; Region Marmarameer und
Straßen +90 212 242 9710
MRSC Samsun; Region Schwarzes Meer +90 362 445 2908
MRSC Izmir; Region Ägäis +90 232 365 68
MRSC Mersin; Region Mittelmeer +90 324 238 87
MMSI
MRSC Istanbul 00271 1000
MRSC Samsun 00271 2000
MRSC Antalya 00271 3000
Quelle: www.skipperguide.de/wiki/Hilfe_im_Seenotfall
Auf dieser Seite finden sich auch Telefonnummern weiterer
Küstenwachen.
Alle Angaben sind ohne Gewähr.
Spanien
Telefonische Alarmierung
Maritime Notfallnummer:
+34 900 202 202
MMSI
Malaga (CCR) 002241023
MRCC Almeria 002241002
MRSC Cartagena 002241003
MRCC Valencia 002241004
Valencia (CCR) 002241024
MRSC Castellon 002241016
MRSC Tarragona 002241006
MRCC Barcelona 002240991
MRCC Palma 002241005
Türkei
Telefonische Alarmierung
Kurzwahl aus allen Netzen 158
Turkish Coast Guard +90 312 158 0000
MRCC Ankara +90 312 425 3337
MRSC Istanbul; Region Marmarameer und
Straßen +90 212 242 9710
MRSC Samsun; Region Schwarzes Meer +90 362 445 2908
MRSC Izmir; Region Ägäis +90 232 365 68
MRSC Mersin; Region Mittelmeer +90 324 238 87
MMSI
MRSC Istanbul 00271 1000
MRSC Samsun 00271 2000
MRSC Antalya 00271 3000
Quelle: www.skipperguide.de/wiki/Hilfe_im_Seenotfall
Auf dieser Seite finden sich auch Telefonnummern weiterer
Küstenwachen.
Alle Angaben sind ohne Gewähr.