Es begann so unwirklich. Ich saß im Geschäft am Schreibtisch als Uschi mich anrief. Uschi ist die bessere Hälfte des unschlagbaren Team zu Wasser, zu Lande und bald auch in der Luft. Das muß ich erklären! Uschi und ich planen Schiffsreisen für unsere Mitglieder des RYYC und organisieren die Fahrten dann auch. Die Reisen sind meistens für Segelboote ausgeschrieben, wir haben aber auch schon Skitouren im Winter ausgeschrieben. Am Ende der Ausschreibung unterzeichnen wir immer mit „euer unschlagbares Team, zu Wasser zu Lande, und bald auch in der Luft“.
Ich saß also am Schreibtisch und es klingelte. Hallo Wieland, wie geht es dir, hörte ich am anderen Ende? Na ja erwiderte ich wie immer, einen tausender pro Tag mehr, dann ging es mir besser. Wir, ist natürlich Uschi und Günter, kommen gerade aus Cuxhaven und haben den Überführungstörn der Alten Liebe abgebrochen. Wir haben keine Zeit mehr weil wir ins Walsertal zur Heike müssen. Die Alte Liebe ist ein Segelschiff von Doris und Otto Hohmann. Die beiden waren auf Urlaubstörn in die Ostsee als Otto plötzlich und unerwartet krank wurde. Sie haben dann das Schiff in Hamburg, soweit waren sie schon auf ihrer Heimreise gekommen, liegen lassen und sind, weil sie den Ärzten im Norden nicht trauten, nach Hause ins Rheinland gefahren. Dort ist Otto dann nach kurzer Krankheit leider verstorben. Das Schiff lag aber noch in Hamburg und konnte da natürlich nicht liegen bleiben. Uschi und Günter haben sich dann bereit erklärt die Alte Liebe von Hamburg nach Süd Holland, Heimathafen, zu überführen. Leider war das Wetter wie immer dagegen. Sie sind also bis Cuxhaven gekommen und haben dort auf besseres Wetter gewartet.
Als die Zeit dann zu knapp wurde, sind sie dann nach Rheydt gefahren und haben das Schiff in Cuxhaven liegen lassen. Und jetzt kam ich ins Spiel. Wieland, wir brauchen jemanden wie dich, der das Schiff von Cuxhaven nach Holland überführen kann. So gerne ich das machen würde, ich habe aber keine Zeit, erwiderte ich. Ich würde aber mal darüber nachdenken versprach ich Uschi, und so verblieben wir dann auch.
Einige Tage später rief Doris mich an und erklärte mir die gleiche Problematik, und bat mich auch Ihr Schiff zu holen. Aber es war schon spät im Jahr, Mitte August, und die südwestlichen Winde wurden immer stärker und häufiger und machten die Fahrt nach Westen immer schwieriger. Und ich hatte wirklich wenig Zeit. Außerdem hatte ich alle Segelklamotten, Ölzeug, Karten usw. auf der Morning Star und damit war Helmut unterwegs, also ich konnte ja gar nicht fahren. Da hatte ich aber die Rechnung ohne die andere Hälfte des unschlagbaren Teams gemacht. Uschi war wie immer so schlau und hat alles was sie für eine Überführung braucht in eine Tasche gepackt und mitgenommen. Diese Tasche hat sie mir kurzerhand ins Büro gestellt und gesagt, wenn dir meine Ski passen, wirst du schon etwas Passendes für dich in meiner Tasche finden. Sogar ein Hand GPS Gerät war in der Tasche. Jetzt hatte ich keinen Grund mehr mich zu drücken. Ich habe also zugesagt. Jeden Tag den Wetterbericht im Internet überprüft und dann kam Ende August ein Wochenende wo nicht Südwest 6-8 Bft angesagt war. Der Wind sollte für 2 Tage auf Nord-Ost mit 5-7 Bft drehen. Eine Windrichtung die man unbedingt ausnutzen sollte. Also brauchte ich nur noch eine Mannschaft. Und da kam Georg ins Spiel. Im erzählte ich was ich vor hatte, und er antwortete nur ganz kurz: jou, wann soll es denn losgehen? Georg war schon 2 oder 3-mal mit Monika, Monika ist mein angetrautes besseres Dreiviertel, und mir am Wochenende aufs Schiff gefahren, hatte aber seglerisch keine Erfahrung. Auch war Georg noch nicht auf der Nordsee gesegelt. Aber Georg und ich verstehen uns sehr gut, das kommt daher, weil Georg ein Mann der kurzen Sätze ist und wenig redet. Ich dagegen rede viel. So kommen wir immer zu Wort, ich meistens öfters.
Also Georg sagte jou, und damit stand meine Mannschaft. Das war donnerstagabends. Georg nahm also eine Tasche mit Zahnbürste, Handtuch und sonstigen Utensilien mit zur Arbeit, denn Freitag sollte es losgehen. Schließlich hatten wir noch eine Anfahrt von mehreren Stunden nach Cuxhaven vor uns. Stefan Merz holte mich Freitagabend ab und wir fuhren zu Georgs Bank nach Düsseldorf, schnappten uns Georg und kamen dann um 23:00 Uhr in Cuxhaven im Yachtclub an. Zuerst in die Kneipe bevor sie schließt, waren meine Worte. Ich hatte Durst und Hunger, und Durst ist schlimmer als Heimweh. Wir bekamen sogar noch etwas zu essen, danach noch einen Schnaps und los ging die Suche nach der Alten Liebe.
Die Alte Liebe ist eine in die Jahre gekommene Halberg Rassey 31 Monsun von 1976 und wo sie liegt kannten wir nur aus wagen Erklärungen. Doris hatte uns erklärt sie liegt am mittleren Steiger aber wir sollen aufpassen es liegen noch zwei am selben Steiger. Nach kurzem suchen haben wir das Schiff dann auch gefunden. Sie lag mit dem Bug zum Steiger. Wir also auf das Schiff und unsere beiden Taschen ins Vorschiff geschmissen. Stefan war noch mit an Bord gekommen und wollte bis zu unserem Ablegen warten.
Mittlerweile war es kurz nach 24:00 Uhr und das Wasser begann kurz nach 01:00 Uhr abzulaufen. Wir mussten also gegen 01:00 Uhr den Hafen verlassen um mit dem Strom der Elbe die deutsche Bucht zu verlassen. Wir überprüften den Öl.- & Dieselstand und starteten den Motor. Er sprang an und wir waren schon etwas erleichtert als wir lautstarken Protest hörten. Äääh, wollt ihr uns umbringen! Wir hatten in der Hektik nicht bemerkt, dass im Cockpit des Nachbarschiffes 2 Männer mit einem Glas Rotwein saßen. Zu dieser Zeit? Die Abgase zogen genau zu ihnen. Also Motor wieder aus und ein Sorry von uns.
Laut Doris ist alles Navigatorische auf dem Schiff. Ich begann zu sortieren. Mehrere Elektrokabel hingen quer üben den Kartentisch. Wohin sie gehen war nicht auszumachen. Das Licht für den Kartentisch funktioniert nicht. Aber es gab eine Taschenlampe. Das Licht im Salon war auch sehr spärlich. Mit der Taschenlampe suchte ich die Seekarten von der Nordsee. Da kam die erste Überraschung, Die Seekarten waren von 1972 also 30 Jahre alt. Das Leuchtfeuerverzeichnis sogar noch älter. In der Karte war noch das Feuerschiff „ELBE 1“ als Ansteuerung für die Elbe eingezeichnet. Was tun, die Zeit läuft uns weg? Stefan verabschieden und Motor starten.
Rückwärts vom Steg ablegen, aber das Schiff steuert rückwärts nicht nach Stb. Langkieler eben. Nach 3 Versuchen beschließe ich rückwärts über Bb bis ins Hafenbecken zu fahren. Dort hatte ich genügend Platz um das Schiff zu drehen.
Mittlerweile war es Samstag kurz nach 01:00 Uhr. Wenigsten war das Wetter besser als der Wetterbericht gesagt hatte. In der Nacht war wenig Wind aus NE und der Seegang auf der Elbe war sehr gering. Wir hatten Hochwasser und das Wasser lief jetzt einige Stunden mit uns nach Westen. Die erste grüne Fahrwassertonne stimmte nicht mit der Karte überein. Weder die Position noch die Nummer. Ich hatte aber schon einige male vom Nord-Ostsee Kanal die Elbe befahren und kannte so das Fahrwasser. Ich beschloss am südlichen Fahrwasser von Tonne zu Tonne zu fahren. Das südliche Fahrwasser ist der kürzere Weg nach Westen aber auch die falsche Fahrwasserseite. Also passiere ich die Tonnen alle südlich außerhalb des Fahrwassers damit wir kein Schiff behindern. Das Fahrwasser war sehr stark befahren und die Tonnen waren oft schwer aus den vielen bunten Lichtern auszumachen. Es sind einfach zu viele grüne und rote Lichter zu sehen.
Als es hell wurde waren wir schon im Tiefwasser Ankergebiet der Weseransteuerung. Jetzt hatten wir keine Betonnung zu beachten. Das Wetter war uns immer noch wohl gesonnen. Der Wind bläst mit 2-3 Bft aus NE. Der Seegang war gering. Bis jetzt haben wir von Hand gesteuert weil der Autopilot rumzickte. Jetzt, wo wir aber auf freiem Wasser sind, wäre er aber sehr nützlich. Wir machen einen Punkt im Westen aus und Georg übernimmt die Pinne und steuert auf diesen Punkt.
Es handelt sich um einen Ankerlieger weiter westlich. Ich versuche stattdessen das Großsegel zu setzen. Das Segel war am Großbaum festgezurrt. Ich löste die Bändsel, hing das Großfall am Segelkopf ein und versuchte das Fall durchzusetzen. Das Großfall bewegte sich nicht, es war vermutlich im Masttop von der Rolle gesprungen und eingeklemmt. Ein zweites Fall war nicht vorhanden. Aber wir sind ja flexibel und können die Rollfock setzen. Das Vorsegel war um das Vorstag aufgerollt und mit vielen Bändseln fixiert. Ich entfernte die Bändsel und wollte die Fock ausrollen. Das funktionierte leider auch nicht. Die Rollfock ließ sich nicht drehen, auch nicht mit Gewalt. Warum konnte ich nicht feststellen. Also löste ich die Schoten und wickelte die Fock um das Vorstag bis sie frei war. Dann belegte ich das Schothorn mit den Schoten und wir konnten, leider immer noch mit wenig Wind, segeln. Den Motor ließen wir aber mitlaufen dann machten wir 5-6 Kn durchs Wasser. Unsere Strecke bis Süd Holland war eh nicht bis Sonntag zu schaffen. Schließlich mußten wir alle Montag wieder arbeiten.
Wie weit wir kommen würden konnten wir noch nicht sagen. Erstmal waren wir beide sehr müde, schließlich hatten wir Freitag den ganzen Tag gearbeitet und sind dann am Abend nach Cuxhaven gefahren und noch in der Nacht ausgelaufen. Die ganze Nacht haben wir beide Ausschau gehalten. Jetzt wurde es Zeit etwas abwechselnd zu schlafen. Das Wetter war immer noch schön warm und der Seegang sehr gering. Das Steuern war anstrengend weil der Autopilot immer wieder rumzickte und Haken schlägt. Wir steuerten abwechselnd jeweils eine Stunde dann konnte der Andere diese Zeit schlafen. So passierten wir im weiten Abstand die Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum. Wir beschließen in die Ems zu fahren und das Schiff nach Delfzijl NL zu bringen.
Um in das Fahrwasser Ems zu gelangen mußten wir an Borkum in westlicher Richtung vorbei fahren und dann in Richtung SE in das Ems Fahrwasser einbiegen. Das Untiefengebiet zwischen Borkum und der Insel Rottumerplaat kannte ich noch gut aus meinem letzten Besuch. Ich mußte nur die Ansteuertonne finden und dann dem Fahrwasser folgen. Das Vorsegel hatten wir wieder um das Vorstag gewickelt und mit Bändseln befestigt. Die Karte von 1972 war uns hier keine Hilfe.
Die Ems bis Delfzijl kannte ich auch nicht. Ich hatte die Strecke nur im Kopf weil ich mir mal eine Karte angesehen habe. Eine Karte von diesem Gebiet war nicht an Bord. Als wir am späten Nachmittag, die Einfahrt zum Hafen von Borkum hatten wir schon längst passiert, im Fahrwasser fuhren, dachte ich es würde nicht mehr lange dauern bis wir in Delfzijl ankommen. Die Entfernung hatte ich unterschätzt.
Ich bat Georg deshalb aus unserer Tasche doch zwei Bier zu holen. Bis dahin hatten wir nichts getrunken und nur ein paar kleine Frikadellen, die Monika uns mitgegeben hatte, gegessen. Hunger hatten wir auch. Georg geht ins Schiff und schaut mich aus dem Salon stützend auf den Niedergang an und sagt, hier schwimmt ein Perserteppich. Ich antworte darauf, egal wenn er nicht fliegen kann. Darauf Georg, ist es richtig wenn ich bis zu den Waden im Wasser stehe. Er lächelte dabei. Als ich den Ernst der Lage begriff bekam ich eine Hitzewelle nach der Anderen. Wir suchten verzweifelt nach dem Schalter für die Bilgenpumpe. Das Wasser stand im Salon ca. 25cm hoch über den Bodenbrettern. Der Schalter Bilgenpumpe brachte keinen Erfolg. Es passierte nichts. Ich rufe über Hany Doris an. Sie sagte mir die Pumpe würde öfters nicht anlaufen, deshalb steht ein dünner Stock im Motorraum mit dem ich auf die Pumpe klopfen soll. Die Pumpe befindet sich in der Bilge im Salon an der Wand zum Motorraum. Also Teppich raus und Bodenbretter raus, aber da kamen uns 10 Tetrapack Rotwein und noch mehr Tetrapack Blasentee entgegen. Blasentee im Tetrapack habe ich noch nie gesehen. Ich konnte dann mit der Taschenlampe die Pumpe sehen und klopfte darauf. Aber die Pumpe wollte nicht mit mir arbeiten. Zunächst dachte ich ein Seeventil wär defekt gegangen und habe alle gesucht und abgesperrt. Dann habe ich mit einem Eimer das Wasser vom Salon ins Cockpit geschüttet. Es wurde aber nicht weniger. Nach einer Weile sah ich wie das Wasser durch den Cockpitboden wieder ins Schiff lief. Der Boden im Cockpit konnte abgenommen werden um besser an den Motor zu kommen. Er war aber nicht dicht. Im Cockpit war noch eine eingebaute Handpumpe, allerdings fehlte der Schwengel dazu. Doris wieder angerufen, die meint er muß irgendwo sein, wir müssen suchen. Nach langem Suchen haben wir ihn dann auch gefunden und zwar da wo er nicht hingehört. Abwechselnd alle 10 Min. pumpen wir was das Zeug hält und nach einer Stunde wird es dann auch weniger. Das Wasser kommt von hinten unter dem Motor und läuft in die Bilge. Also Welle undicht??? Wir entfernen den Boden im Cockpit und sehen erstaunlicherweise nichts. Hinter dem Motor über die Wellenanlage ist ein Verschlag aus viel Holz und Schrauben gebaut worden. An die Welle oder Stopfbuchse kommt man nicht ran. Alles war voll mit unnützem Zeug gefüllt. Wir haben alles entfernt und auf dem Schiff verteilt. Das Schiff sah jetzt wie ein großer Müllhaufen aus. Den Beschlag aus Holz haben wir rausgerissen und konnten jetzt sehen wie das Wasser durch die Stopfbuchse ins Schiff schoss. Die Stopfbuchse war an eine Fettpresse angeschlossen, die aber nicht mehr funktionierte. Das Fett war knochenhart und wir konnten mit der Fettpresse nichts daran ändern. Das Schiff muß schnellstens aus dem Wasser sonst säuft es ab. Mittlerweile waren wir gegen 21:00 Uhr in Delfzijl angekommen und machten im Yachthafen fest. Als der Motor stand kam nicht mehr soviel Wasser ins Schiff. Wir stopften Lappenfetzen in die Stopfbuchse damit noch weniger Wasser ins Schiff gelangt. Ich rief wieder Doris an mit der Bitte uns Sonntag in Delfzijl abzuholen. Von hier aus kann sie selbst das Schiff über Kanäle zurück holen.
Danach haben wir alles stehen und liegen lassen, waren völlig erschöpft und hatten Hunger. Dreckig wie wir waren, gingen wir in ein Restaurant und bestellten ein Bier und etwas zu essen. Bevor das Essen kam waren wir am Tisch eingeschlafen. Die 5 Stunden vom Wassereinbruch bis zum Hafen, und dem anstrengenden Pumpen, waren zu anstrengend. Die Entfernung von der Nordsee bis Delftzijl ca. 25 sm hatte ich unterschätzt.
Sonntagvormittag kam Stefan mit Mutter Doris uns abholen. Vorher hatten wir das Schiff bei einer Werft an der Kaje festgemacht und natürlich die Bilge wieder entleert. Die Werft wurde telefonisch beauftragt das Schiff Montagmorgen an Land zu stellen und die Stopfbuchse zu erneuern.
Nach einer Woche konnte Doris das Boot über Kanäle nach Roermond überführen. Es wurde danach verkauft.